Gerd O.
         
2000
2005
 
 
 

Biografie

Gerd O., 72, entstammt einer Beamtenfamilie. Nach der Realschule absolvierte er eine Ausbildung im Molkereifach, anschließend arbeitete er mehrere Jahre als Angestellter, wurde dann selbstständig im kaufmännischen Bereich. Die Selbstständigkeit scheiterte und Gerd O. war die letzten Jahre vor dem Ruhestand überwiegend erwerbslos. So hat er heute eine Rente in Höhe von lediglich rund 450 €. 2002 verlor Gerd O. seine Wohnung.


Mit 67 Jahren ohne Krankenversicherung
(2000)

Vor zwei Jahren war Gerd O. in Marokko im Urlaub. Mit Zelt und Rucksack. Die rund 200 € für den Flug konnte er aufbringen, weil er extrem bescheiden lebt. Das Apartment ist klein und billig, die Einrichtung besteht aus gebrauchten Möbeln, die Kleidung ist aus der Kleiderkammer. Freunde und Bekannte trifft Gerd O. ausschließlich privat oder beim Frühstück im Arbeitslosenzentrum.
Mit dieser bescheidenen Lebensweise ist Gerd O. vergleichsweise zufrieden. Schließlich, so meint er, sei sie auch das Ergebnis seines individuellen Lebensweges. Sicher, manchmal hätte er schon gern etwas mehr Geld zur Verfügung, z.B. für die Anschaffung eines neuen PC. Aber er fragt sich auch, ob ihn das wirklich glücklicher machen würde. Wichtiger ist für Gerd O., weiter so rüstig und gesund zu bleiben wie bisher.
Gesund bleiben, das muss Gerd O. allerdings auch. Denn seit einiger Zeit ist er nicht mehr krankenversichert. Er hätte sich mit dem Übergang zur Rente zwar freiwillig weiter versichern können. Dann wäre sein frei verfügbares Einkommen aber deutlich unter die Sozialhilfeschwelle gesunken. Und zum Sozialamt gehen, das wollte Gerd O. nicht. Aus Scham - und um die Angehörigen nicht zu belasten. So hat er auf den Krankenversicherungsschutz notgedrungen verzichtet.


Mit 72 Jahren ohne Wohnung
(2005)

Gerd O. hat keinen festen Wohnsitz mehr. Vor drei Jahren kündigte die Vermieterin sein möbliertes Zimmer. Die freie christliche Kirchengemeinde war nicht mehr mit Gerds Lebenswandel einverstanden. Alle Versuche, eine neue Wohnung zu finden, scheitern. Vermieter haben wenig Interesse, ihre Wohnungen an einen obdachlosen älteren Mann zu vermieten.
Tagsüber hält sich Gerd O. an verschiedenen Orten auf. Sein bevorzugtes Nachtlager hat er in einem großen Waschsalon eingerichtet, mit Wissen des Schließdienstes, wie er betont. Die Alternative wäre die Unterbringung in einer städtischen Notunterkunft. Gerd hat sich die Unterkünfte angeschaut, deren Zustand hat ihn aber so abgeschreckt, dass er dieses Angebot nicht annehmen will. Wie viele alleinstehende wohnungslose Männer befürchtet er, dass es ihm dort nur noch schlechter gehen würde.
So hat sich Gerd O. zunächst mit dem Leben auf der Straße arrangiert. Wenn er unterwegs ist, trägt er stets seine verbliebene Habe (Rasierer, Zahnbürste, ein wenig Kleidung) in zwei Plastiktüten bei sich. Mitunter unternimmt er sogar kleine „Pilgerreisen“ ins lokale Umfeld und um die Stationen seiner „Pilgerreise“ zu dokumentieren, hat er sich kürzlich sogar beim Aldi einen Fotoapparat gekauft.
Insgesamt ist Gerd O. froh darüber, dass auch seine Gesundheit weiter stabil ist. Er hat bisher auch keine Gewalterfahrungen auf der Straße gemacht, allenfalls wurden ihm kleinere Geldbeträge entwendet.
Dennoch hofft er, alsbald eine Wohnung zu finden, was aber allein angesichts der geringen Geldmittel, die er einsetzen kann, schwierig ist. Die Krux: Prinzipiell hätte Gerd O. sogar Anspruch auf die Grundsicherung für Ältere und damit auf ein höheres Einkommen sowie Krankenversicherungsschutz. Deren Inanspruchnahme setzt jedoch voraus, dass er ein entsprechendes Mietverhältnis vorweisen kann.


Fazit

Mit 72 Jahren weder über eine Wohnung noch über eine Krankenversicherung zu verfügen, darf hierzulande niemandem zugemutet werden. Wenn es doch geschieht, verweist dies darauf, wie weitmaschig das vermeintlich „üppige“ soziale Netz geworden ist. Wir brauchen bezahlbaren Wohnraum für alle Bevölkerungsschichten und ausreichend ausgestattete soziale Hilfseinrichtungen, die bei solchen Problemlagen unterstützend zur Seite stehen.