Franz K. und Denise L.
         
2000
2005
 
 

Biografien

Franz K., 39, wuchs in einem Heim in München auf. Nach dem Sonderschulabschluss begann er eine Ausbildung als Kraftfahrzeugmechaniker, die er krankheitsbedingt aufgeben musste. Danach arbeitete er als Schausteller, Lagerarbeiter und freier Handelsvertreter, bis er nach Osnabrück kam und Denise L., 33, kennen lernte. 1999 wurde der gemeinsame Sohn Nico geboren. Franz K. ist seit 1999 durchgehend arbeitslos. 2003 hat er eine sogenannte „Ich-AG“ gegründet. Denise L. hat 1989 nach der Hauptschule eine Lehre zur Bäckereifachverkäuferin begonnen, wurde aber nach einem Monat ohne Angaben von Gründen gekündigt. Seitdem ist sie arbeitslos, unterbrochen nur einmal durch eine kommunale Arbeitsbeschaffungsmaßnahme – und die Geburt des Kindes Nico. Nico besucht zur Zeit die Vorschule.


Beim Sozialamt
(2000)

Franz, Denise und Nico bekommen Leistungen von der Arbeitsagentur, vom Sozialamt und der Kindergeldkasse. Insgesamt haben sie 1.150 € monatlich zur Verfügung. Knapp die Hälfte dieses Einkommens muss für die Miete verausgabt werden. Das verbleibende Geld sichert zwar das unmittelbare Überleben – doch nur um den Preis drastischer Einschränkungen. Schon bei Ernährung und Kleidung muss gespart werden, für gesundes Essen, haltbare oder gar modische Kleidung reicht das Einkommen nicht. Die Freizeitgestaltung beschränkt sich auf das Ausleihen von Videos. Ausgehen oder gar Urlaub sind nicht erschwinglich.
Franz und Denise belastet das Gefühl sozialer Ausgrenzung. Sie selbst können zwar mit ihrer geringen Ausstattung umgehen, doch in der Nachbarschaft fallen sie auf, ohne Auto, mit immer der gleichen Kleidung, ohne die Möglichkeit, an Festlichkeiten teilzunehmen. Frühere „Freunde“ haben sich zurückgezogen, seit Franz und Denise kein Geld mehr für Ausflüge oder zum Ausgehen haben. Dazu kommt: Dauerhaft auf staatliche Hilfen angewiesen zu sein, nagt erheblich am Selbstwertgefühl.
Stärker belastet sie jedoch die Sorge um die Zukunft ihres Sohnes Nico. Das Geld reicht nicht für eine gesunde Ernährung, an ökologisches und pädagogisch wertvolles Spielzeug ist nicht zu denken. Die Eltern fürchten, dass Nico sich nicht angemessen entwickelt und später in der Schule Probleme bekommt. Das Geld für das neue Dreirad, den Malblock und die Stifte haben Franz und Denise von der letzten Weihnachtsbeihilfe vom Sozialamt abgespart.
Denise hofft auf eine baldige Arbeitsaufnahme, um die Situation zu verbessern. Franz verfolgt die Idee einer Selbstständigkeit. Allerdings sind beide skeptisch. Denn es bestehen noch ca. 1.800 € Altschulden. Für jemanden ohne Geld ist das keine geringe Summe, für einen potentiellen Arbeitgeber ist Überschuldung ein Einstellungshemmnis.




Prinzip: Hoffnung!
(2005)

Franz K. und Denise L. sind weiter befreundet, sie leben jetzt allerdings räumlich getrennt. Denise ist weiterhin erwerbslos und bekommt Arbeitslosengeld II. Für Sohn Nico, der inzwischen die Schule besucht, gibt es Sozialgeld.
Franz hat kürzlich eine Anstellung bei einer Zeitarbeitsfirma gefunden. Er wird in einer Fleischwarenfabrik eingesetzt. Hier verdient er zwar nur 860 € im Monat und die Tätigkeit ist auf ein halbes Jahr befristet. Für ihn ist es dennoch ein Hoffnungsschimmer. Er fühlt sich jetzt sozial besser eingebunden und vielleicht – wird der Vertrag ja verlängert ... ?
Lange Jahre davor war Franz arbeitslos. Die zahlreichen Bewerbungen brachten keinen Erfolg. Mit der Einführung des staatlich geförderten Existenzzuschuss´ gründete er dann eine „Ich-AG“. Einen Einkaufs- und Transportservice für jede Gelegenheit, z.B. für alte Leute, die den Weg zum Supermarkt nicht mehr allein schaffen, für berufstätige Singles, für Menschen, die Hilfe bei Wohnungsentrümpelungen benötigen usw.
Doch die Nachfrage nach den angebotenen Dienstleistungen war äußerst gering und als dann noch der Geschäftspartner – der einzige mit Führerschein – ausstieg, musste Franz K. Arbeitslosengeld II beantragen.
Auch Denise L. hatte zwischenzeitlich eine Arbeit. Mit öffentlichen Mitteln gefördert, arbeitete sie ein Jahr lang bei einem beruflichen Bildungsträger für sozial benachteiligte Jugendliche in der Küche. Dort bekam sie 800 € netto. Zwar zu wenig, um vom darauf folgenden Arbeitslosengeld leben zu können, aber genug, um für ein Jahr unabhängig von der Arbeitsagentur und vom Sozialamt zu sein. Und sogar genug, um einen Teil der Schulden zurückzuzahlen. Denise hat die Tätigkeit sehr gut gefallen.
Ihre Erwartungen, durch die Arbeitspraxis besser einen Job zu finden, haben sich dagegen nicht erfüllt. Zwei bis drei Bewerbungen schreibt sie die Woche. Sie bewirbt sich als Kassiererin, Aushilfe, Stundenkraft, zum Einpacken, Auspacken, Kommissionieren – ohne Erfolg. Stellenangebote von der Arbeitsagentur kommen kaum, dafür wird überprüft, ob sie ihren „Bewerbungspflichten“ nachkommt.
Einen Tag vor Heiligabend hat sie z.B. ihr Arbeitsberater eingeladen, um mit ihr über ihre „Arbeitsbemühungen“ zu sprechen. Wegen Problemen mit dem Sohn und der anstehenden Feiertage ist Denise über die „Einladung“ hinweg gekommen. So gab es eine Sperrzeit, d.h. zwei Wochen kein Geld von der Arbeitsagentur!


Fazit

Franz und Denise bemühen sich stetig, ihrer schwierigen Situation zu entkommen. Ihr Beispiel zeigt allerdings, dass unsere Gesellschaft für Menschen in bestimmten Lebenslagen nur wenige realistische Handlungsspielräume bietet. Die Lösung hierfür können nicht Sanktionen oder die Absenkung von Sozialleistungen sein. Wirklich hilfreich sind hier: eine ausreichende, sanktionsfreie wirtschaftliche Absicherung der Betroffenen, die Ausweitung von Qualifikations­programmen und die Schaffung von existenzsichernden Arbeitsplätzen, damit auch für Menschen mit formal geringeren Qualifikationen die Teilhabe sichergestellt wird.