Christa S.
         
2000
2005
 
 

Biografie

Christa S., 70, erhielt wegen des Krieges keine angemessene Schulausbildung. Als Kind arbeitete sie für Lebensmittel beim Bauern. Sie wurde Friseurin, war später Fabrikarbeiterin, dann Taxifahrerin und arbeitete schließlich zwanzig Jahre lang als Hauswirtschafterin und in der Krankenpflege. 1985 wurde sie erwerbsunfähig. Geringe Löhne und vom Arbeitgeber teilweise nicht entrichtete Sozialabgaben bedingen, dass sie nach über 30 Jahren Arbeit keine Rente erhält, die zum Leben reicht.


Die Sozialhilfe reicht nicht zum Leben
(2000)

Christa S. bekommt 612 € Rente und dazu noch 51 € laufende Hilfen vom Sozialamt. Das reicht schon unter normalen Umständen kaum für eine angemessene Lebensführung: für die Kosten der Wohnung, für Kleidung, Ernährung und die sozio-kulturellen Bedürfnisse einer alleinstehenden älteren Frau.
Bei Christa kommen jedoch noch zahlreiche gesundheitliche Beeinträchtigungen hinzu. Die langjährige Arbeitsbelastung hat zu inoperablen Abnutzungserscheinungen des Bewegungsapparates geführt. Eine asthmatische Erkrankung hat sich eingestellt. Sie hat mehrere Schlaganfälle erlitten sowie starke Neurodermitis und diverse Allergien entwickelt. Allein diese Erkrankungen erfordern erhebliche Mehraufwendungen für Ernährung und Medikamente.
Christa beziffert allein die Mehrkosten für die besonders ausgewählte Kost, die sie wegen ihrer Diabetes in Kombination mit einer seltenen, ausgeprägten Nickel-Allergie benötigt, auf 150 €. Vom Sozialamt bekommt sie allerdings nur 61 € zusätzliche Beihilfe zugestanden, denn für ihren komplizierten Fall gibt es keine angemessenen Bedarfslisten. Also muss sie die Kosten für die lebensnotwendigen Diäten noch beim alltäglichen Bedarf einsparen. Für andere Dinge bleibt dann kein Geld mehr übrig.
Trotz ihrer gesundheitlichen Einschränkungen und ihrer insgesamt schwierigen Lage arbeitet Christa S. seit Jahren ehrenamtlich bei der Interessengruppe Sozialhilfe (ISOS), einem gemeinnützigen Verein, der Sozialhilfeberechtigten Hilfen und Beratung bietet. Christa S. unterstützt und betreut Menschen, die, wie sie, mit wenig Geld auskommen müssen, bei der Anspruchsklärung und der Interessendurchsetzung gegenüber den Sozialbehörden.


Angst vor der Zukunft
(2005)

Christa S. arbeitet noch immer ehrenamtlich bei der Interessengruppe Sozialhilfe (ISOS). Sie führt Beratungsgespräche, leistet Hilfestellungen beim Ausfüllen von Anträgen, kümmert sich um die Terminplanung und nimmt Aufträge für den kostengünstigen Umzugsservice der Einrichtung entgegen. Die Tätigkeit im Verein ist für sie sinnstiftende Arbeit und zugleich Pflege ihrer sozialen Kontakte. Da sich Christa kein eigenes Telefon leisten kann, führt sie hier ihre notwendigen Telefonate.
Wie lange Christa allerdings den Weg zu ISOS noch bewältigen kann, weiß sie nicht. Denn einerseits haben ihre Gehprobleme stark zugenommen und der gesamte Gesundheitszustand hat sich weiter verschlechtert. Andererseits kann sie kaum noch die Kosten für die benötigten Verkehrsmittel tragen.
Denn sie erhält zwar jetzt die Grundsicherung für Ältere und damit monatlich 44,40 € mehr laufende Leistungen. Doch sind damit die früher noch zusätzlich gezahlten einmaligen Beihilfen (für Bekleidung, Hausrat usw.) pauschal abgegolten. Gleichzeitig sind aber die Kosten für die speziellen Diäten gestiegen und Christa muss jetzt anteilige Zuzahlungen für Medikamente und Therapien leisten sowie die Kosten für Taxifahrten zum Arzt oder zu Anwendungen übernehmen. Nach eigenen Berechnungen hat Christa somit noch weniger Geld zur Verfügung als früher.
Was Christa aktuell große Sorgen bereitet, sind die fortgesetzten Kürzungsbestrebungen und Einsparbemühungen im Sozial- und Gesundheitsbereich. Vor einiger Zeit hat ihre Krankenkasse die Kosten für ein teures, bislang gut verträgliches Medikament nicht mehr übernehmen wollen. Christa wurde auf ein kostengünstigeres Ersatzpräparat umgestellt. Erst nachdem sie infolgedessen schwer erkrankte, erklärte sich die Kasse bereit, das ursprüngliche Präparat wieder zu bezahlen. Nach diesem Schock befürchtet Christa für die Zukunft Schlimmes: „In England erhalten Menschen über 60 schon jetzt keine Dialyse mehr.“


Fazit

Christa ist enttäuscht über den gesellschaftlichen Umgang mit älteren Menschen. Ihre Geschichte zeigt, dass die Grundsicherung allein nicht ausreicht, um ein menschenwürdiges Leben zu sichern. Erst recht nicht bei gesundheitlichen Beeinträchtigungen und ohne unterstützendes familiäres Umfeld. Zu fordern ist die Anhebung der Grundsicherung auf ein angemessenes Niveau in Kombination mit kommunalen Unterstützungsnetzen für ältere, behinderte Menschen (z.B. kostenloser Transportdienst, Einkaufshilfen).