Biografie
Christa S., 70, erhielt wegen des Krieges keine angemessene Schulausbildung.
Als Kind arbeitete sie für Lebensmittel beim Bauern. Sie wurde Friseurin,
war später Fabrikarbeiterin, dann Taxifahrerin und arbeitete schließlich
zwanzig Jahre lang als Hauswirtschafterin und in der Krankenpflege. 1985
wurde sie erwerbsunfähig. Geringe Löhne und vom Arbeitgeber teilweise
nicht entrichtete Sozialabgaben bedingen, dass sie nach über 30 Jahren
Arbeit keine Rente erhält, die zum Leben reicht.
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Die Sozialhilfe reicht nicht zum Leben
(2000)
Christa S. bekommt 612 € Rente und dazu noch 51
€ laufende Hilfen vom Sozialamt. Das reicht schon unter normalen
Umständen kaum für eine angemessene Lebensführung: für
die Kosten der Wohnung, für Kleidung, Ernährung und die sozio-kulturellen
Bedürfnisse einer alleinstehenden älteren Frau.
Bei Christa kommen jedoch noch zahlreiche gesundheitliche Beeinträchtigungen
hinzu. Die langjährige Arbeitsbelastung hat zu inoperablen Abnutzungserscheinungen
des Bewegungsapparates geführt. Eine asthmatische Erkrankung hat
sich eingestellt. Sie hat mehrere Schlaganfälle erlitten sowie starke
Neurodermitis und diverse Allergien entwickelt. Allein diese Erkrankungen
erfordern erhebliche Mehraufwendungen für Ernährung und Medikamente.
Christa beziffert allein die Mehrkosten für die besonders ausgewählte
Kost, die sie wegen ihrer Diabetes in Kombination mit einer seltenen,
ausgeprägten Nickel-Allergie benötigt, auf 150 €. Vom Sozialamt
bekommt sie allerdings nur 61 € zusätzliche Beihilfe zugestanden,
denn für ihren komplizierten Fall gibt es keine angemessenen Bedarfslisten.
Also muss sie die Kosten für die lebensnotwendigen Diäten noch
beim alltäglichen Bedarf einsparen. Für andere Dinge bleibt
dann kein Geld mehr übrig.
Trotz ihrer gesundheitlichen Einschränkungen und ihrer insgesamt
schwierigen Lage arbeitet Christa S. seit Jahren ehrenamtlich bei der
Interessengruppe Sozialhilfe (ISOS), einem gemeinnützigen Verein,
der Sozialhilfeberechtigten Hilfen und Beratung bietet. Christa S. unterstützt
und betreut Menschen, die, wie sie, mit wenig Geld auskommen müssen,
bei der Anspruchsklärung und der Interessendurchsetzung gegenüber
den Sozialbehörden.
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Angst vor der Zukunft
(2005)
Christa S. arbeitet noch immer ehrenamtlich bei der
Interessengruppe Sozialhilfe (ISOS). Sie führt Beratungsgespräche,
leistet Hilfestellungen beim Ausfüllen von Anträgen, kümmert
sich um die Terminplanung und nimmt Aufträge für den kostengünstigen
Umzugsservice der Einrichtung entgegen. Die Tätigkeit im Verein ist
für sie sinnstiftende Arbeit und zugleich Pflege ihrer sozialen Kontakte.
Da sich Christa kein eigenes Telefon leisten kann, führt sie hier
ihre notwendigen Telefonate.
Wie lange Christa allerdings den Weg zu ISOS noch bewältigen kann,
weiß sie nicht. Denn einerseits haben ihre Gehprobleme stark zugenommen
und der gesamte Gesundheitszustand hat sich weiter verschlechtert. Andererseits
kann sie kaum noch die Kosten für die benötigten Verkehrsmittel
tragen.
Denn sie erhält zwar jetzt die Grundsicherung für Ältere
und damit monatlich 44,40 € mehr laufende Leistungen. Doch sind damit
die früher noch zusätzlich gezahlten einmaligen Beihilfen (für
Bekleidung, Hausrat usw.) pauschal abgegolten. Gleichzeitig sind aber
die Kosten für die speziellen Diäten gestiegen und Christa muss
jetzt anteilige Zuzahlungen für Medikamente und Therapien leisten
sowie die Kosten für Taxifahrten zum Arzt oder zu Anwendungen übernehmen.
Nach eigenen Berechnungen hat Christa somit noch weniger Geld zur Verfügung
als früher.
Was Christa aktuell große Sorgen bereitet, sind die fortgesetzten
Kürzungsbestrebungen und Einsparbemühungen im Sozial- und Gesundheitsbereich.
Vor einiger Zeit hat ihre Krankenkasse die Kosten für ein teures,
bislang gut verträgliches Medikament nicht mehr übernehmen wollen.
Christa wurde auf ein kostengünstigeres Ersatzpräparat umgestellt.
Erst nachdem sie infolgedessen schwer erkrankte, erklärte sich die
Kasse bereit, das ursprüngliche Präparat wieder zu bezahlen.
Nach diesem Schock befürchtet Christa für die Zukunft Schlimmes:
In England erhalten Menschen über 60 schon jetzt keine Dialyse
mehr.
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