Anne-Marie T.
         
2000
2005
 
 

Biografie

Anne-Marie T., 47, ist im Heim aufgewachsen. Nach der Hauptschule begann sie mit einer Lehre zur Köchin, die aus Krankheitsgründen nicht abgeschlossen wurde. Der Lebensunterhalt hat sie lange Jahre mit ungelernten Tätigkeiten bestritten, bis sie starke Alkoholprobleme bekam und ihre Wohnung verlor. Mit ihrem jetzigen Lebenspartner entkam sie sechs Jahre später dem harten und gesundheitsschädigenden Leben auf der Straße. Inzwischen hat sie wieder einen regulären Job.


Nicht mehr auf der Straße
(2000)

Anne-Marie T. ist froh darüber, dass sie nicht mehr auf der Straße lebt und auch die Alkoholerkrankung unter Kontrolle hat. Viele ihrer ehemaligen Szenekontakte haben das nicht geschafft und leben nicht mehr. Den Lebensunterhalt bestreitet Anne-Marie von 400 € Arbeitslosengeld im Monat.
Da sie mit ihrem Lebenspartner einen gemeinsamen Haushalt führt, wird dessen Einkommen mit in die Bedarfsberechnung einbezogen. Deshalb erhält sie keine ergänzende Sozialhilfe. Das bedeutet für sie: Die Wohnungseinrichtung ist aus zweiter Hand, die Kleidung aus der Kleiderkammer. Urlaub, Essen gehen oder Theaterbesuche sind eigentlich nicht möglich.
Ab und zu lädt ihre Tante sie ins Restaurant ein. Anne-Marie T. mag dieses Angebot allerdings nicht so oft in Anspruch nehmen, weil sie sich nicht dafür revanchieren kann.
Das Tragen von Kleidung aus zweiter Hand findet Anne-Marie T. dagegen nicht so gravierend. Sie ist es seit der Kindheit so gewohnt. Problematischer ist schon, dass sie ihr Bedürfnis nach neuer Lektüre oft nicht befriedigen kann. Am schlimmsten aber ist, dass das Geld selbst bei ihrer äußerst sparsamen Lebensweise häufig nicht einmal bis zum Ende des Monats reicht.
Anne-Marie T. möchte keine Almosen, sondern eine angemessen bezahlte Arbeit, um den Lebensunterhalt eigenständig zu bestreiten. Sie sieht aber auch, dass ihre Möglichkeiten gering sind. Mit der jährlich abgesenkten Arbeitslosenunterstützung wird sich ihre wirtschaftliche Situation eher verschlechtern. Sollte völlige Erwerbsunfähigkeit eintreten, liegt die Rente unter Sozialhilfeniveau.



„Mir geht es inzwischen richtig prima“
(2005)

Anne-Marie T. übt inzwischen seit über einem Jahr wieder eine sozialversicherungspflichtige Arbeit aus. Sie ist 30 Stunden in der Woche für eine gemeinnützige Einrichtung tätig, säubert die Tageswohnung für allein stehende Wohnungslose. Dafür bekommt sie 766 € ausgezahlt.
Das ist zwar nicht viel Geld für diese Tätigkeit, aber Anne-Marie ist damit zufrieden. Denn ihr macht der Job Spaß. Und von dem Geld kann sie nicht nur leben, sondern sogar noch etwas für die Rente zurücklegen. Die neue Stelle wird mit Mitteln der örtlichen Arbeitsagentur gefördert.
Der Weg zum neuen Job war schwierig. Die Arbeitsvermittlung sprach sich zunächst gegen eine Förderung aus. Reguläre Jobangebote gab es nicht und absolute Erwerbslosigkeit drohte. Angesichts der Perspektivlosigkeit ihrer Lage wäre Anne-Marie fast wieder bei Alkohol und Tabletten angelangt.
Dann erhielt Anne-Marie ein künstliches Hüftgelenk und drängte erneut auf Förderung. Von der Arbeitsvermittlung wurde ihr zunächst auferlegt, eine „Trainingsmaßnahme“ zu besuchen - um die „Arbeitseignung“ zu überprüfen! Erst nach dem Ableisten der Maßnahme wurde dem Wunsch nach einer öffentlichen Förderung dann endlich entsprochen.
Heute ist Anne-Marie froh darüber, dass es mit dem Job letztlich doch geklappt hat. Sie kann jetzt ihren Lebensunterhalt mit einer sozial sinnvollen Tätigkeit selbstständig bestreiten und wirkt daneben noch bei der Osnabrücker Obdachlosenzeitung „Abseits!?“ mit. Außerdem verkauft sie einmal im Monat gebrauchte Bücher auf dem Antikbüchermarkt. Mit dem Erlös soll eine weitere Stelle im Wohnungslosenheim zumindest mitfinanziert werden.


Fazit

Für Anne-Marie T. ist es, so sagt sie: „günstig gelaufen“. Sie hat jetzt einen Job, der ihr Spaß macht, ein bedarfsgerechtes Einkommen und ist unabhängig von den Ämtern. Angesichts ihrer Erfahrungen plädiert Anne-Marie für den Ausbau öffentlich geförderter Beschäftigungsverhältnisse, statt die Gelder in unsinnige Trainingsmaßnahnahmen zu stecken oder Erwerbslose nur zu fordern, wo es doch nicht ausreichend freie und passende Jobs gibt. Man solle lieber in sinnvolle Stellen investieren: „Das würde den Leuten wirklich helfen!“